Am 5. Mai 2016 griff eine Gruppe Neonazis das AJZ in der Vollbrachtstraße 1 in Erfurt an. Sie warfen Flaschen und versprühten Pfefferspray, bevor sie auf ihre Opfer einprügelten. Mehr als vier Jahre nach der Tat müssen sich nur noch zwei der Täter als Angeklagte vor Gericht verantworten, wobei wesentlich mehr Neonazis an dem Angriff beteiligt waren. Alle Beteiligten waren und sind Teil des „Kollektiv56“ aus Erfurt. Eine Übersicht findet ihr auf der Unterseite “Termine”.
Zum Männertag 2016 fuhr eine größere Gruppe Neonazis des „Kollektiv56“ mit der Straßenbahn nach Erfurt-Nord. An der Haltestelle „Salinenstraße“ stiegen sie aus und begannen das AJZ mit leeren Bierflaschen zu bewerfen. Sie begaben sich in den Hof des Jugendzentrums, setzten Pfefferspray gegen die Anwesenden ein und begannen auf sie einzuschlagen, bevor sie die Flucht ergriffen. Ebenfalls entwendeten die Angreifer eine Jacke eines ihrer Opfer, weshalb u.a. wegen Raub ermittelt wurde. Zu der angreifenden Gruppe gehörten Michael Zeise, Sascha Wühr, Ronny Damerow, Phillipe Amor, Julian Franz, Johann Walter Richter, Max Kambartel, Max Schmidt, Sören Erik Hildesheim, Benjamin Günther und Felix Lindenau. Ein Großteil der Angreifenden konnte kurze Zeit später von der Polizei gestellt oder identifiziert werden. Es folgten einige Wochen später erste Hausdurchsuchungen bei den Beschuldigten. (Pressebericht) Nico Julian Moritz Franz wurde noch am selben Abend des Angreiffs vom 5.5.2016 in Untersuchungshaft verbracht. Grund war jedoch nicht der Angriff auf das AJZ tagsüber, sondern eine Raubtat am Haupbahnhof Erfurt.
Mittlerweile befinden sich von der angreifenden Gruppe nur noch zwei Beteiligte als Beschuldigte auf der Anklagebank. Dabei handelt es sich um Ronny Damerow und Phillipe Amor. Die Verfahren gegen alle anderen Neonazis, welche als Beschuldigte geführt worden sind, sind bereits eingestellt worden. Trotz ihrer Einstellung müssen sie als Zeugen vor Gericht erscheinen.
Dabei wird Damerow vor Gericht mit dem Anwalt Thomas Ullrich aus Erfurt erscheinen.
Phillipe Amor wird von Steffen Hammer aus Reutlingen als Anwalt vertreten. Steffen Hammer ist ein bekannter Neonazi und Szene-Anwalt. Er spielte jahrelang in der deutschen Rechtsrockband “Noie Werte” und war Landesvorsitzende der NPD in Baden-Württemberg. Der NSU bezog sich u.a. auf einen Songtext der Band, aus der Feder von Hammer, positv in ihrem Bekennervideo. Als Rechtsanwalt vertrat Hammer in der Vergangenheit bereits mehrmals NPD Funktionäre und
Neonazis. Seine Kanzleikollegin, Nicole Schneider, leistete in der Vergangenheit bereits Ralf WOhlleben aus dem NSU-Unterstützernetzwerk rechtlichen Beistand.
Die Verhandlung beginnt am 10. November um 9 Uhr im Amtsgericht Erfurt, Sitzungssaal 19. Weitere Prozesstage sind für den 12. November um 9 Uhr, 24. November um 9 Uhr und den 26. November um 9 Uhr am Amtsgericht Erfurt angesetzt. (Update vom 09.11.2020: Die Uhrzeiten der letzten beiden Verhandlungstage wurden von 13 Uhr auf 9 Uhr geändert.)
Es ist bezeichnend, dass mehr als vier Jahre nach der Tat die Täter vor Gericht stehen. Zwar sollte bereits im Frühjahr 2020 der Prozessbeginn sein, dieser wurde aber aufgrund der Corona-Pandemie vertagt. Aber selbst vier Jahre nach dem gezielten Angriff auf ein Jugendzentrum in Erfurt konnten sich die Täter weiter frei bewegen und hatten keinerlei Konsequenzen zu befürchten. Phillipe Amor beteiligte sich beispielsweise an einem weiteren Angriff auf das AJZ am 26. Juli 2017. Das Ermittlungsverfahren gegen Amor als Täter ist in diesem Fall eingestellt worden. Auch bei dem aktuellen Angriff vor der Staatskanzlei am 18. Juli 2020 in Erfurt gibt es Hinweise, dass Amor beteiligt war. Ein solch später Prozessbeginn gegen lediglich zwei der Täter ist nicht nur eine Einladung für gewaltbereite Neonazis fleißig weiter zu prügeln und zu morden, sondern ermutigte sie nachweislich in der Vergangenheit zu weiteren Angriffen.
Als Initiative „Kollektiv56 aufdecken!“ rufen wir dazu auf den nun angesetzten Prozess mit einer kritischen Öffentlichkeit zu begleiten. Einmal in der Solidarität mit den Angegriffenen und natürlich um öffentlich Druck zu machen, dass ein solcher Angriff und verschleppter Prozess nicht ohne Widerspruch bleiben.