Vor dem Erfurter Amtsgericht ging am 24. November 2020 der Prozess gegen zwei der Angreifer auf das AJZ vom 5. Mai 2016 eher überraschend zu Ende. Das Verfahren gegen Philippe Amor wurde eingestellt, Ronny Damerow wurde freigesprochen. Alle weiteren Täter landeten erst gar nicht auf der Anklagebank. Ihre Verfahren, wenn sie denn überhaupt erst eröffnet wurden, sind, wurden in den viereinhalb Jahren bis zum Prozessbeginn eingestellt. Die militante Neonaziszene geht damit einmal mehr strafrechtlich unbescholten aus der Situation.
Der Prozess – eine Farce
Nachdem die Neonazis am 5. Mai 2016 das AJZ in der Erfurter Vollbrachtstraße mit Flaschen, Pfefferspray und die Anwesenden mit Schlägen und Tritten angriffen, flohen sie schließlich mit der Straßenbahn. Eine entwendete Lederjacke wurde später in der Bahn als Trophäe herumgereicht. Wer genau die Jacke gestohlen habe, spielte keine Rolle. Bei wem sie später bei der Hausdurchsuchung gefunden wurde, ebenfalls nicht. Vor der Polizei soll Michael Zeise in einer Vernehmung ausgesagt haben, Benjamin Günther habe ihn gefragt: „Da habe ich gut durchgezogen, habt ihr das gesehen?“. Das Verfahren gegen Benjamin Günther wurde eingestellt, er musste nicht einmal mehr als Zeuge aussagen. Von Anfang an blockte die Richterin jede weitere Frage zur Struktur und Ideologie der Nazi-Zeugen und des politischen Motives der Tat. Eine klare Entpolitisierung des Vorfalls.
Das Ergebnis – zu erwarten
Schließlich gehen, wieder einmal, militante Neonazis straffrei aus der Sache hervor. Ihre Tat wird nicht politisch eingeordnet, nachdem das Verfahren knapp viereinhalb Jahre verschleppt wurde. Schockieren sollte dies schon lange nicht mehr. Dass es in Thüringen ein offensichtliches Problem bei der strafrechtlichen Verfolgung von Neonazis gibt, wissen wir nicht erst seit der Zulassung der Revision gegen das Urteil vom Landgericht Erfurt im Ballstädt-Verfahren wegen Formfehlern. Oder der Täter-Opfer-Umkehr bei den Ermittlungen zu einem rassistischen Tötungsversuch am Erfurter Herrenberg in der Nacht zum 1. August 2020 oder seit dem Auffliegen von rechten Chatgruppen und Netzwerken in den Sicherheitsbehörden. In gleichen Teilen wissen wir auch, wie der Staat gegen Antifaschist*innen vorgeht. In Leipzig wurde Lina in den Knast gesteckt, antifaschistische Strukturen werden durchleuchtetet und mit Ermittlungsverfahren nach §129 StGB in Bedrängnis gebracht. Wo der Feind hier steht, wissen wir schon lange. Das Prozessende gegen Philippe Amor und Ronny Damerow ist sicher ärgerlich, aber kein Grund für Antifaschist*innen schockiert oder gar gelähmt zu sein. Dass der Staat lieber diejenigen ausrüstet und aufbaut, die uns nach dem Leben trachten, zeigte die Entwicklung des NSU und der staatlichen Verstrickungen in Netzwerke wie dem „Thüringer Heimatschutz“ zur Genüge. Wirklich geschockt kann man nur sein, wenn man trotz all dieser Dinge immer noch den naiven Glauben hat, der Staat bekämpfe ernsthaft diese Strukturen.
Antifa heißt warten auf Verurteilung?
Nein. Auch wenn wir strafrechtliche Konsequenzen als Nadelstich gegen die Neonaziszene gesehen hätten, dürfen wir uns nicht darauf verlassen und schon gar nicht darauf hoffen, dass der Staat uns schützt. Die Antwort auf militante Neonazistrukturen ist letztlich eine Organisierung eines autonomen militanten Antifaschismus, der nicht abwartet, bis Neonazis uns angreifen, sondern ihnen schon von Anfang an einen Strich durch die Rechnung macht. Thüringenweit ist eine Zunahme an organisierten Neonazis zu beobachten. Sei es im Rechtsrock, Kameradschaften, Kampfsport- und Hooligangruppen sowie organisierter Kriminalität. Alle Bereiche sind vertreten und überschneiden sich. Hinzu kommt eine AfD, die in Thüringen nicht nur prozentual stark ist, sondern auch konsequente Faschisten in ihrer Führung hat. Gleichzeitig befinden sich autonome antifaschistische Strukturen weiter auf dem Rückzug. In vielen Regionen sind in den vergangenen Jahren Strukturen weggebrochen oder abgewandert.
Letztlich liegt es an uns, die militanten Neonazistrukturen zu bekämpfen, uns zu organisieren und zu begreifen, dass der Staat und seine geförderten Demokratieprojekte für uns keine Handlungsalternativen sind. Im Gegenteil, sie stehen uns gegenüber.
Eine Polizei kann die Ermittlungen versauen, ein Gericht die Täter freisprechen und die Zivilgesellschaft kann empört sein. Wir sollten uns klar sein, dass die Polizei immer auch gegen uns arbeitet. Ein Freispruch vor Gericht hat für unser Urteil und Handeln keinen Einfluss. Wir müssen nicht empört oder gelähmt sein, sondern entschlossen.
Nazistrukturen angreifen – wann ihr freigesprochen seid, entscheiden wir!